In den Akten des Bundesarchivs blieben einige Fotos der Opfer erhalten. Sie konnten kopiert und für diese Ausstellung dokumentiert werden. Somit können die Opfer nicht nur mit ihren Namen genannt werden, sondern sie bekommen auch ihr Gesicht zurück. Hier werden nur die Namen (nach ersten Buchstaben anonymisiert) und eine Kurzbiografie dargestellt.

Ernst W.
1890 | 20. Juni | geboren in Mülsen St. Jakob |
seit 1929 | Bauarbeiter, Invalid 2 Kinder, verheiratet |
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1933 | 20. Mai | Aufnahme in Zschadraß |
1940 | 15. Aug. | Entlassung |
Kurt W.
1895 | 9. Dez. | geboren in Kirchberg |
Gärtner 2 Kinder, verheiratet Krankheitsbild: Epilepsie ausgemustert lebte unter anderem in der Pflegeanstalt Untergöltzsch, Arnsdorf und Zschadraß |
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1940 | 15. Aug. | von Zschadraß in "eine andere Anstalt verlegt" |
Erich S.
1906 | 05. Mai | geboren in Niederplanitz |
1928 | 18. Jan. | Aufnahme in Untergöltzsch |
später Überführung nach Zschadraß | ||
1940 | 15. Aug. | von Zschadraß in "eine andere Anstalt verlegt" |
Frieda Mathilde L.
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Paul Albert J.
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Kurt M.
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Andreas S.
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Erich Georg P.
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Erich B.
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Karl Friedrich R.
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Paul K.
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Franz Erich H.
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Erwin W.
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Erklärung
Die Wendung in "eine andere Anstalt verlegt" wurde immer dann benutzt, wenn Patienten nach Pirna-Sonnenstein gebracht wurden. Auf dem Sonnenstein wurden diese wenige Stunden bzw. Tage nach ihrem Eintreffen vergast.
Erhalt eines Dokumentes
Im Stadtarchiv blieb eine Namensliste aus dem Jahr 1937 vom Alten- und Pflegeheim Schlobigplatz 22 erhalten. 54 Heimbewohner wurden nach Krankheit, Vormundschaft und Sterilisation registriert. Der Vergleich mit der Liste aus Pirna-Sonnenstein erbringt: 24 Personen vom Alten- und Pflegeheim wurden 1941 vergast. Was mit den anderen Personen auf der Liste passiert ist, muss noch weiter recherchiert werden. Interessant ist auch, dass etliche Ermordete vorher sterilisiert worden sind.
Sohn sucht Vater
Alfred W. wollte seinen Vater im Altern- und Pflegeheim besuchen, jedoch sein Vater war verlegt worden, ohne dass er als Angehöriger unterrichtet worden war. Als Aufenthaltsort wurde nur "anderswo" angegeben. Der Sohn schrieb an den Amtsarzt Dr. Horn und wollte wissen, wohin sein Vater verlegt worden sei. Jedoch er erhielt umgehend die Antwort, dass für diese Auskunft nur die Anstalt zuständig sei. Was hingegen der Sohn nicht wusste und ihm verheimlicht wurde, dass sich sein Vater bereits auf dem Transport zur Vergasung befand. Er war in die Zwischenstation Zschadraß gebracht worden, um ihn dann von dort nach Sonnenstein zu transportieren. Diese Zwischenstation wurde extra eingerichtet, um die Mordaktion zu vertuschen und die Angehörigen zu täuschen. Diese erhalten gebliebene Liste gibt nun Auskunft über das Schicksal dieses Opfers. Es wurde festgehalten, dass Robert Max W. am 3. März 1941 umgebracht wurde.
Stationen der Elsa N.
- Geboren am 30. Juni 1892 in Rodewisch
- Verheiratet und sechs Kinder
- Dezember 1925 Unterbringung Untergöltzsch
- Unterbringung des Pfleglings in der Landes-Heil-und Pflegeanstalt in Untergöltzsch, wegen religiösen Irreseins
- Vier Selbstmordversuche – Sehnsucht nach ihren sechs Kindern
- 4. Oktober 1940 verlegt nach Zschadraß – Zwischenanstalt – Abtransport des Pfleglings durch Sammeltransport von Untergöltzsch in die Landesanstalt Zschadraß.
- 10. Februar 1941 Abtransport in andere Anstalt und vergast
- Elsa N. wurde nach Pirna Sonnenstein gebracht und am gleichen Tag mit Kohlenmonoxid umgebracht.
- 21. Februar 1941 Todesnachricht an den Ehegatten
Den Angehörigen der Pfleglinge wurden in den meisten Fällen unwahre Angaben gemacht, in welche Anstalt ihre Angehörigen geschafft wurden. In Pirna-Sonnenstein war ein Standesamt eingerichtet, dort wurden sofort die Sterbeurkunden (mit falschem Ort, falscher Zeit und falscher Todesursache) ausgestellt. Den Angehörigen wurde ein falscher Todestag "21. Februar 1941" und der falsche Sterbeort "Hartheim" mitgeteilt. Die Todesursache lautete: "Typhus mit nachfolgender Kreislaufschwäche". Die Ärzte konnten sich mögliche Todesfälle entsprechend einer Liste aussuchen! Die Ärzte unterschrieben nicht mit ihrem richtigen Namen. Es sollten die Spuren des Verbrechens verwischt werden. Außerdem wurden für die Tage noch unberechtigterweise Fürsorgegelder berechnet.
Quelle: mit freundlicher Unterstützung der Tochter Marianne (geb. 1925), die als letzte Hinterbliebene nach der Todesursache ihrer Mutter geforscht hat. Sie durfte ihre Mutter nie besuchen und hat sie nie gesehen. Seit drei Jahren forscht sie und in den Akten fand sie dann das Schicksal ihrer Mutter.
Heil− und Pflegeanstalt Untergöltzsch
- 1893 Einweihung und Eröffnung der "Königlich Sächsischen Landes-Heil− und Pflegeanstalt für Geisteskranke zu Untergöltzsch"
- psychiatrische Versorgung für Südwestsachsen (Erzgebirge und Vogtland)
- bis 1913 wurden 41 Gebäude errichtet − moderne architektonische Konzeption
- konzipiert für die Aufnahme von 600 Kranken
- Heilung durch humane Therapien
- vorbildliche Milieu− und Sozialtherapie
- extramurale (außerhalb der Mauern) Arbeitstherapie
- im 1. Weltkrieg als Reservelazarett
- Ende der 1920er Jahre nahm das Verwahrprinzip der Irren die Oberhand
- nach 1933 unterlagen psychisch Kranke und Behinderte den Massenvernichtungsmaßnahmen der faschistischen Diktatur
- T4-Aktion: Kreisheim Obergöltzsch = 52 Opfer
- Landesanstalt Untergöltzsch = 337 Opfer über eine Zwischenanstalt = 11 Opfer direkt zur Vergasung nach Pirna
- davon blieben 237 Krankenakten erhalten (im Bundesarchiv)
- nach 2. Weltkrieg wieder zur Landes-Heil− und Pflegeanstalt
- 1947 Einrichtung erhielt die Bezeichnung "Krankenanstalten Rodewisch"
- 1956 zum "Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Rodewisch"
Eingerichtete "Euthanasie"− Anstalten 1940/41
Die "Organisation T4" richtete im Deutschen Reich in den Jahren 1940/1941 sechs "Euthanasie" − Anstalten ein:
- Brandenburg (altes Zuchthaus) und psychiatrische Einrichtungen in
- Bernburg
- Grafeneck
- Hadamar
- Hartheim
- Pirna-Sonnenstein
In allen Anstalten wurde mit Kohlenmonoxid gemordet.
1941 im Herbst wurde die T4-Aktion gestoppt. Aber das Morden ging bis Mai 1945 weiter. In den einzelnen psychiatrischen Einrichtungen wurde mit dem Medikament Luminal oder durch Hunger getötet. Die Anzahl der Morde in dieser dezentralen (auch genannt wilde) Euthanasie ist nicht bekannt. Im Keller der Heil− und Pflegeanstalt Großschweidnitz blieben die Krankenakten der NS-Zeit erhalten.
Heil− und Pflegeanstalt Großschweidnitz
Zur Geschichte:
1898 − 1902 | Bau der Heil− und Pflegeanstalt für 524 Kranke mit 34 Gebäuden | |
1898 | 22. April | erster Spatenstich |
1899 | Oktober | Richtfest für alle Gebäude |
1902 | 01. April | Eröffnung der Heil− und Pflegeanstalt mit 9 Häusern für Männer und 11 Häuser für Frauen |
ab 1907 | Überfüllung | |
1912 | 4 Neubauten mit 210 Betten |
Zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs:
1939-1945
- Auswüchse: Sterilisation, Euthanasie und teilweise Verwahrpsychiatrie
- Versorgung der Patienten verschlechterte sich: Medikamentenüberdosierungen, Unterkühlung, Nahrungseinschränkungen und Demobilisation
- in der Zeit der T4-Aktion bis zum Euthanasie-Stop 1941 fungierte Großschweidnitz als Sammeleinrichtung zum Abtransport der zu Tötenden nach Pirna-Sonnenstein
- danach als eigenständige Tötungseinrichtung der "wilden Euthanasie" missbraucht
- 1947 zwei Ärzte und fünf leitende Schwestern wegen dieser Verbrechen zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt
Insgesamt waren 10.642 Patienten in Großschweidnitz.
5.717 Patienten starben dort.
2.400 Patienten wurden in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein verlegt.
Wie viele von den ca. 8.100 Toten in Großschweidnitz durch die "Euthanasie" umgekommen sind, lässt sich heute nicht mehr exakt bestimmen.
Seit November 1990 erinnert auf dem Großschweidnitzer Friedhof ein Gedenkstein an die Opfer der Euthanasie.