Kurzinformationen zur Wanderausstellung



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Verbrechen des NS-Staates wie die Zwangssterilisation und die so genannte Euthanasie wurden in Zwickau genauso verübt wie anderswo in Deutschland. Zwickau war keine Ausnahme. Sechzig Jahre lang wurden diese Verbrechen nicht öffentlich diskutiert, bis im Jahr 2004 Religionsschüler der 11. Klasse des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums (GHG, heute Clara-Wieck-Gymnasium, CWG) begannen, Fragen nach den Opfern und Tätern in ihrer Heimatstadt zu stellen.

Es wurden umfangreiche Recherchen durchgeführt. Dabei musste festgestellt werden, dass kaum noch Zeitzeugen leben, dass wenige Akten erhalten geblieben sind und dass wichtige Dokumente vernichtet wurden. Neben den Politikern spielten dabei zwei Berufsgruppen eine Rolle: Juristen und Mediziner. Sie waren es, die das lebensunwerte Leben von der arischen Rasse selektierten und einer Spezialbehandlung zuführten. Erst durch ihr Zusammenspiel konnte ein perfektes System der Vernichtung entstehen. Zunächst waren es die Behinderten aus der Bevölkerung, die als "unnütze Esser" eingestuft wurden und keinen Platz in der "Volksgemeinschaft" hatten. Später kamen andere Menschen, Volksgruppen und Völker z. B. Juden und Zigeuner hinzu. Die Mehrheit der Bevölkerung hat es nicht für möglich gehalten, dass das Nazi-Regime diese Verbrechen in Heil- und Pflegeeinrichtungen durchführte.
Die Ergebnisse der Aufarbeitung wurden auf Schautafeln dokumentiert und sie wurden als Ausstellung erstmalig am 1. Juni 2005 im Landgericht Zwickau der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Besuch der Ausstellung war überdurchschnittlich gut, weil viele Zwickauer an den historischen Ereignissen und Geschehnissen ihrer Heimatregion interessiert sind. Lehrer und Dozenten konnten diese Ausstellung in ihre Unterrichtsstunden einbinden, so dass Schüler, Lehrlinge und Studenten einen lebensnahen Unterricht erhielten. Presse, Radio und Fernsehen haben die Ausstellung über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht, und es entstand eine reges Interesse an den Ergebnissen des Schülerprojektes.

Sterilisation

Die Ausstellung zeigt, dass die Ideologie der Rassenhygiene eine Entwicklung durchlaufen hat. Charles Darwin entdeckte die Theorie der Auslese und die vom "Kampf ums Dasein". Daraus erwuchs "die Lehre von der arischen Herrenrasse", in der so genannte Minderwertige keine Existenzberechtigung haben. Schon in der Weimarer Zeit entstand eine "Lex Zwickau", die vom Zwickauer Bezirksarzt Dr. Gustav Boeters entworfen wurde. Erbkranke sollten sterilisiert werden. Ohne gesetzliche Grundlage wurden in der Zwickauer Krankenanstalt unter Leitung von Prof. Dr. Heinrich Braun wie auch in anderen Privatkliniken die Unfruchtbarmachungen durchgeführt. 1933 war eines der ersten Gesetze des NS-Regimes, das so genannte "Erbgesundheitsgesetz" (Gesetz über die Verhütung erbkranken Nachwuchses). Ärzte, Hebammen, Heilpraktiker, Behörden, Anstaltsleiter, Lehrer und Eltern hatten die Pflicht, Verdächtige auf Erbkrankheiten dem zuständigen Amtsarzt zu melden,. Er stellte dann den Antrag auf Zwangssterilisation beim zuständigen Erbgesundheitsgericht. Der Betroffene konnte Einspruch erheben, einen Rechtsanwalt einschalten und Gegengutachten erstellen lassen. Hatte das Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung beschlossen, konnte die nächste Instanz − das Erbgesundheitsobergericht in Dresden − angerufen werden. Der dort ergangene Beschluss war dann aber endgültig und rechtskräftig. Die Sterilisation musste vollzogen werden. Zur konsequenten Durchsetzung der Sterilisation wurden dabei sogar polizeiliche Mittel eingesetzt.

Das Erbgesundheitsgericht in Zwickau (Gebäude am Dr. Friedrichs-Ring, dem heutigen Finanzamt) war dem Amtsgericht angeschlossen. Es hatte das Gebiet von Werdau über Hohenstein-Ernstthal, Kirchberg, Aue, Schwarzenberg bis nach Johanngeorgenstadt zu verwalten. Eine Statistik der Jahre 1934 bis 1936 besagt, das im Amtsgericht Zwickau 2144 Sterilisationsfälle bearbeitet wurden. In 1701 Fällen wurde die Sterilisation angeordnet (für die nachfolgenden Jahre liegen keine eindeutigen Statistiken vor). Im Fünf-Minutentakt wurden die "Fälle" abgehandelt und entschieden. Es kann angenommen werden, dass mindesten 5000 Fälle verhandelt wurden. Die Zwangssterilisationen wurden auch an der Front bei den Soldaten vollzogen und sogar noch Ende April 1945. Es liegen ergreifende Berichte von den seelischen Qualen der Betroffenen vor, aber auch Dokumente von Komplikationen, Todesfällen und Selbstmorden. Diese konkreten Fälle der Zwangssterilisationen verdeutlichen, dass die Bevölkerung dem Erbgesundheitsgesetz gnadenlos ausgeliefert war. Die Schüler haben die Orte, an denen das Erbgesundheitsgesetz umgesetzt und vollzogen wurde, dokumentiert. Es sind Einrichtungen mitten in unserer Stadt und im Landkreis.

Euthanasie(griech. "der gute Tod", bei den Nazis: Vernichtung lebensunwerten Lebens)

1940 verfügte Hitler, dass unheilbar Kranke dem Gnadentod zugeführt werden sollten. Ohne gesetzliche Grundlage wurden daraufhin Menschen gemordet. Kaum jemand hat dagegen Widerstand geleistet. Das Morden wurde als "Führerbefehl" hingenommen. Nach "deutscher Gründlichkeit" entstand ein Mechanismus der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Die Zentrale saß in Berlin, Tiergartenstraße 4. Als Tarnung wurde sie als T4-Aktion bezeichnet. Systematisch und penibel wurden die Opfer über Meldebögen erfasst. In der T4-Zentrale wurde dann ohne Krankenblatt und ohne den Menschen jemals gesehen zu haben, über Leben oder Tod entschieden. Anfangs wurde mit dem Amtsarzt Rücksprache gehalten. Aus Geheimhaltungsgründen wurde dies später unterlassen. Zur Vertuschung mussten die Opfer in ein Zwischenlager gebracht werden. Von dort wurden sie in Bussen zur Vernichtungsanstalt transportiert und fast immer sofort vergast. In Sachsen geschah dies in der Anstalt Pirna-Sonnenstein. Den Angehörigen wurden amtliche Briefe, in denen fingierte Todesursachen angegeben waren, zugeschickt. Viele Standesämter haben dafür eine falsche Todesurkunde ausgestellt. 1941 stoppte Hitler die T4-Aktion, aber das Morden ging weiter. Das wird als dezentrale oder "wilde" Euthanasie bezeichnet. Die Opfer wurden durch Spritzen oder durch Nahrungsentzug in Kliniken und Heilanstalten umgebracht. Auch Kriminelle wurden vernichtet, indem sie zuerst "psychiatrisiert" wurden, um sie dann ohne Gerichtsurteil heimlich umzubringen.

Nachweislich waren unter den Opfern der T4-Aktion 68 Zwickauer, die meist aus den Alten- und Pflegeheimen kamen. Aus dem Landkreis Zwickau waren es ca. 300 Menschen, die in Pirna Sonnenstein vergast wurden. Von 18 Opfern, die in Reichenbach geboren wurden, sind die Krankenakten im Bundesarchiv erhalten geblieben. Die Zahl der Opfer bei der "wilden" Euthanasie kann demgegenüber nicht angegeben werden. Die Schüler konnten aber über Angehörige Kindereuthanasien recherchieren und dokumentieren. In den Unterlagen des Bundesarchivs sind wenige Fotos erhalten geblieben, so dass diese Opfer in der Ausstellung nicht nur ihren Namen, sondern auch ihr Gesicht zurückerhalten.





Widerstand

Es wurde auch herausgearbeitet, dass es Pfarrer Hermann Gocht (1862 - 1959) gelang, fünf Heimbewohner des Taubstummenheimes in Zwickau vor der Vergasung zu bewahren. Er gehört zu den ganz wenigen Menschen, die Mut aufbrachten und Zivilcourage besaßen, sich gegen die nazistische Ideologie zu stellen.
Ebenso der Jurist Lothar Kreyssig aus Brandenburg, der die Euthanasiemorde zur Anzeige brachte, weil dafür keine gesetzliche Grundlage bestand. Er wurde als beamteter Richter suspendiert. Das Leben des Arztes Dr. Kurt Daniel vom Katharinenhof in Großhennersdorf (in der Nähe Bautzens) wurde aufgezeichnet, denn ihm gelang es, einige Kinder vor dem Abtransport zur Vergasung zu den Eltern zu entlassen oder in andere Heime zu verlegen. Für diese Rettungstat wurde er entlassen.




Dank

Ein besonderer Dank gilt der Heim gGmbH Zwickau - vertreten durch Uwe Köhler - denn am "Haus Muldenblick" konnte am 7. Juni 2005 ein Gedenkstein errichtet werden. Somit wird die Bevölkerung an die Opfer und das geschehene Verbrechen erinnert. Es muss allen Zeitzeugen, die ihre Angst und Scham überwunden haben, gedankt werden, denn sie haben das Schweigen durchbrochen und dazu beigetragen, dass diese schreckliche Vergangenheit ein Stück aufgeklärt werden konnte. Gedankt werden muss denen, die dieses Projekt finanziell und ideell unterstützt haben. Ebenso muss den Religionsschülern gedankt werden: Kezia, Isabell, David, Stefan, Florian, Luise und Christin. Sie haben sich mit Sensibilität in diese schwierige Problematik eingearbeitet und die Ausstellung erstellt.

Impressum

Clara-Wieck-Gymnasium (Außenstelle), Platz der Deutschen Einheit 2, 08056 Zwickau
  • Projektleiter: Dr. Edmund Käbisch, Hölderlinstr. 8, 08056 Zwickau
  • Tel.: 0375/2040565
  • E-Mail: info@dr-kaebisch.de
  • Website: www.dr-kaebisch.de
  • Kooperationspartner: Zwickauer Hilfe Zentrum e.V.
    In Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk WEITERDENKEN in der Heinrich-Böll-Stiftung